Germanistik in der Schweiz. Online-Zeitschrift der SAGG 1/2002


Sprachliche Varietäten in der Stadt Bern
und was die Sprecher davon halten[1]

Beat Siebenhaar (Bern)


 

1 Einführung

Hier soll nicht die umfangreiche wissenschaftliche Literatur zum Berndeutschen im Zentrum stehen, sondern die Sprecher sollen mit ihren Aussagen zur Mundartsituation selbst zu Wort kommen. Sämtliche Beispiele stammen aus einer Sammlung von Interviews zur Sprachsituation in der Stadt Bern (Siebenhaar / Stähli 2000). Anlass für diese Sammlung des Phonogrammarchivs der Universität Zürich war eine Anfrage der Burgergemeinde Bern, die die Sprache der Berner Burger, das sogenannte Stadtberndeutsch dokumentiert und archiviert haben wollte, bevor es endgültig nicht mehr zu fassen sei. Die Klage über den Untergang der Basisdialekte, die von Laien, Sprachpuristen und sogar Dialektologen immer wieder geäußert wird, hat also in Bern einen konkreten Niederschlag und eine Umsetzung in die archivarische Tat gefunden. Diese Sammlung zum Berndeutschen umfasst neben einzelnen historischen Aufnahmen und einer Lesung acht Interviews, die nach klassischem dialektologischen Verfahren selektioniert wurden: Ausgewählte Gewährsleute stehen jeweils für eine ganze Gruppe von Sprechern. Zwei der Sprecher sprechen bewusst Stadtberndeutsch - die Bezeichnung für die burgerliche Varietät -, ein dritter Sprecher mit burgerlichem Hintergrund legt sehr wenig Sprachbewusstsein an den Tag. Ein weiteres Interview dokumentiert ein sozial nicht markiertes Berndeutsch der Stadt, sodann findet sich eine Aufnahme mit szenesprachlichen Elementen, und dann sind zwei Aufnahmen mit Merkmalen der traditionellen Unterschichtssprache vertreten, in der auch das Mattenenglisch mit seinen geheimsprachlichen Zügen zur Sprache kommt. Zuletzt findet sich eine Aufnahme mit einem zugewanderten Romand.

Auch wenn diese Sammlung nur einen eingeschränkten Einblick in die Varietäten geben kann, die in Bern gesprochen werden, so dokumentiert sie doch die heutige Sprachsituation, jedoch ganz klar ohne repräsentativ zu sein.

Im Folgenden soll mit Tonbeispielen und einzelnen Anekdoten, die sich im Umfeld des Projekts ergeben haben, ein Einblick in die aktuelle Stadtberner Sprachsituation gegeben werden. Diese Sprachsituation ist seit längerem bekannt, und sie ist mehrfach beschrieben worden[2]. In den letzten Jahrzehnten hat sie sich dahingehend verändert, dass bestehende Tendenzen zum Abbau markierter Varietäten zugunsten eines unmarkierten Mittelschichtsberndeutsch verstärkt wurden. Markierte Varietäten, insbesondere auch das traditionelle Stadtberndeutsch, ehemals prestigeträchtige Oberschichtssprache, sind marginalisiert worden. Darüberhinaus hat sich das Verständnis der Sprachsituation verändert: Heute wird anstelle von durchgehend verwendetem, einheitlichem Dialekt vermehrt von einem Repertoire ausgegangen, aus dem das Individuum eine Varietät bzw. ein sprachliches Variantenbündel situationsgebunden auswählt[3]. Zudem sind auch in der Stadt Bern viele von Nicht-Mundartsprechern geprägte Varietäten zu finden, denen verschiedene Grade von Akzeptanz entgegengebracht wird. Auf diese Xenolekte soll hier nicht weiter eingegangen werden[4], es sollen vor allem Hinweise darauf gegeben werden, wie die verschiedenen traditionellen Varietäten wahrgenommen werden.

 

2 Die Sprachsituation von Zürich

Der hier gegebene Einblick in das Berndeutsche ist nicht unwesentlich von meiner Situation als Zürcher geprägt. Diese Zürcher Sprachsituation trifft für weite Teile der Deutschschweiz zu, sie soll deshalb auf persönlichem Hintergrund skizziert werden. Ich bin in Zürich in kleinbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen. Meine Eltern stammen aus dem Chräis Chäib, Chräis vier, Außersihl, einem der mit der Industrialisierung entstandenen Unterschichtsquartiere. Mein Vater hatte an der Langstraße eine kleine Schreinerei. Aufgewachsen bin ich in Schwamendingen, einem der in den 1950er Jahren in Zürich Nord rasch gewachsenen Unterschichtsquartiere. Als einziger meiner Klasse habe ich nach der Primarschule das Gymnasium besucht. Was habe ich von der Sprachsituation in Zürich mitbekommen? In Zürich reden alle fast gleich. Eine Ausnahme bildete die Langstraße, wo viele Italiener wohnten, Tschinggen wie noch mäßig pejorativ gesagt wurde, die nur gebrochen Deutsch sprachen. Dann gab es die Leute, die mehr fluchten als ich, die konnten sich oft auch besser durchboxen als ich. Huere als Verstärkung durften wir zu Hause nicht verwenden, und wenn wir ein Stück Brot wollten, Mami, dörf i es Stuck Broot?[5] so wurden wir korrigiert: ...haa, und erst, nachdem wir den in den Ohren meiner Mutter korrekten Satz von uns gegeben hatten, wurde dem Wunsch entsprochen. Mein Großvater bestellte noch Povëërli 'pois verts, Erbsen', in der Stube hatte es eine Schäslong und meine Großmutter sagte Amelett statt Omlette. Dass also nicht ganz alle gleich redeten, war bewusst, eine Zuordnung zu verschiedenen sozialen Gruppen ist aber kaum gemacht worden. Im Gymnasium bin ich dann mit anderen Leuten zusammengekommen; mit Kindern von Bankdirektoren, solchen, die an der Goldküste oder am Zürichberg wohnten, mit Kindern von Ärzten und Zahnärzten. Was ist sprachlich aufgefallen? Die konnten besser Latein als ich, und sonst? Nichts. Und nun, rund zwanzig Jahre später, nach einem Germanistikstudium, mit geschärftem dialektologischen Gehör, was fällt heute auf? Nur wenig mehr, da gibt es zwei verschiedene R, das ist auch anderswo so, es ist jedoch in Zürich wenig sozial markiert. Im lexikalischen Bereich gibt es Unterschiede zur Wertung einzelner Lexeme. Morphologisch und phonologisch ist nichts als sozial differenzierend bekannt. Ich vermute, dass die generell für alle /o/ geltende geschlossene Realisierung von unteren sozialen Schichten zugunsten einer offenen Realisierung aufgegeben wird, das ist aber eine noch nicht untersuchte Hypothese. So kann noch heute gesagt werden: Mit zwinglianischer Bescheidenheit sprechen alle Zürcher gleich.

Auch wenn dieser Blick die Zürcher Sprachsituation beschreibt, so trifft das so oder ganz ähnlich für einen Großteil der deutschsprachigen Schweiz zu. Es gilt also das Stereotyp: alle Schweizer sprechen in fast allen Situationen die Mundart - im Gegensatz zu Deutschland, wo gebildete Leute Standard sprechen. Und davon, dass alle Mundart sprechen, wird dann abgeleitet: Alle sprechen gleich, was häufig mit Stabreimen exemplifiziert wird: Bauer und Bankdirektorin, Professor und Putzfrau, Schreiner und Studentin. Dass dies nicht immer stimmt, zeigt die Situation in Bern.

 

3 Die Sprachsituation in Bern

Was ist auf diesem Hintergrund besonders an Bern? In Bern verwenden die verschiedenen sozialen Schichten je andere Varietäten, und sie wissen auch, dass sie unterschiedlich reden. In den Interviews zeigt sich, dass einzelne linguistische Variablen als sozial differenzierend bekannt sind. Die folgenden Unterschiede werden von den Gewährleuten genannt:

Allen andern sprachlichen Variablen voran ist die l-Vokalisierung[6] - Vogu für Vogel, aut statt alt, Bauu statt Ball, Chäuuer statt Chäller - im burgerlichen Stadtberndeutsch verpönt, genau so wie die Velarisierung von -nd - - Hang statt Hand, gfunge statt gfunde. Auch sind einzelne lexikalische Besonderheiten sozial gebunden. Giele u Modi gegenüber burgerlichem Buebe und Meitschi 'Buben und Mädchen' oder hocke gegenüber sitze für 'sitzen'. Das burgerliche Berndeutsch zeigt öfters die Endung -ung für einen Teil der weiblichen Substantive, wo sonst gemeinschweizerdeutsches -ig erscheint, z.B. Zitung gegenüber Zitig 'Zeitung', Regierung gegenüber Regierig 'Regierung'. Das Stadtberndeutsche hat die verbalen Langformen bewahrt mir gange / näme / gäbe / chönne 'wir gehen / nehmen / geben / können' gegenüber mir göi / nää / gää / chöi im nicht-burgerlichen Berndeutschen. Burger verwenden das und gegenüber dem verkürzten u für 'und'. Charakteristisch für das burgerliche Berndeutsch ist die häufigere Verwendung von französischen Fremdwörtern. Bei Burgern ist das uvulare Zäpfchen-r [R] häufiger zu finden als bei Nicht-Burgern, es ist aber nicht obligatorisch. Auf der anderen Seite zeigte sich im Berndeutschen der tieferen Sozialschichten ein internationaler Slang mit Bezügen zum Rotwelschen. Das ist nicht ein neues Phänomen, sondern ist schon in den ersten Publikationen zur Berner Sondersprache um 1900 belegt[7]. Das Berner Mattenenglisch, der Jargon des Mattenquartiers, wird nicht mehr verwendet, seit die Matte nicht mehr Unterschichtsquartier ist. Nur einzelne Ausdrücke haben sich erhalten und haben sogar den Weg in die Mittelschichtsprache gefunden wie das iu für ja. Moderne Unterschichtssprachen haben ein anderes Gepräge, doch davon später.

3.1 Stadtberndeutsch

Diese traditionellen Sprachformen haben ihre unterschiedliche Verbreitung und soziale Wertung. Harald Wäber, aus einer Familie, die das burgerliche Stadtberndeutsch bewusst pflegt, beschreibt diese Situation so: (Beispiel Wäber1.mp3)

Wen i das säge, de heist das efach, es paar Sache si deheime strikte verbote gsi: Me het nid döörffe ds Äll vokalisiere, me het also müesse Milch säge und het nid dörfe Miuch säge. Me het o nid d Ändungen uf Änn-dee zu Änn-gee dörffe mache, me het vo me ne Hund gredt un nid vo Hung, wel me natüech gwüsst het, das der Hung eigedlech der Honig isch.

Wenn ich das sage, dann heißt das einfach, ein paar Sachen sind zu Hause strikte verboten gewesen: Man hat das l nicht vokalisieren dürfen, man hat also Milch sagen müssen und hat nicht Miuch sagen dürfen. Man hat auch nicht die Endungen auf -nd zu -ng machen dürfen, man hat von einem Hund gesprochen und nicht von einem Hung, weil man natürlich gewusst hat, dass der Hung eigentlich der Honig ist.

Und das het de * scho bald dezue gfüert, das iig eigedlech i der Schuel * zwo Spraache gredt ha: Uf der einte Site die, wo me i der Schuel gredt het, * für nid ufzfalle und de deheimen äbe die *, wo me deheim het müesse rede. Und we de das mal deheim nid glungen isch, de han i unggässe vom Tisch müesse. Das isch no d Zit gsi vor der permissiive Gsellschaft.

Und das hat dann schon bald dazu geführt, dass ich eigentlich in der Schule zwei Sprachen gesprochen habe: Auf der einen Seite diejenige, die man in der Schule gesprochen hat, um nicht aufzufallen, und dann zu Hause eben die, die man zu Hause hat sprechen müssen. Und wenn dann das mal zu Hause nicht gelungen ist, dann habe ich 'ungegessen' vom Tisch müssen. Das ist noch die Zeit gewesen vor der permissiven Gesellschaft.

Die situationsspezifische Verwendung mehrerer Varietäten aus einem Repertoire, wie es für die heutigen Stadtsprachen postuliert wird, ist also ein älteres Phänomen, das beispielsweise auch schon bei Baumgartner 1940 in der Darstellung von bernischen Sprachbiographien beschrieben wird. Der Unterschied zur heutigen Situation liegt also nicht in der Unterscheidung und Wahrnehmung der verschiedenen Varietäten, sondern an deren Sanktionierung.

Diese Unterschiede in den traditionellen städtischen Varietäten wurden nicht nur von sprachbewussten Burgern wahrgenommen, die eine gewisse sprachliche Abgrenzungstendenz aufweisen, sondern wenigstens teilweise auch von Leuten aus der Unterschicht wie Annette Küenzi-Fridelance. (Beispiel ME1.mp3)

A. K.: am… am Bowäger obe isch zum Bischpü d Frou Dokter von Root gwont…

A. K.: Am… am Bowäger oben hat zum Beispiel die Frau Doktor von Rot gewohnt.

R. F.: Bowäger…

R. F.: Bowäger…

R. F. und A. K.: …dasch de…

R. F.: und A. K.: …das ist der

Im Chor: …Buebebäärgrein.

Im Chor: …Bubenbergrain.

F. K.: Ja, Bowäger.

F. K.: Ja, Bowäger.

A. K.: Und * di het dr Hort finanziert nach der Schueu. De het me… die, wo hei wöuue, hei nach der Schueu e so i ne Hort chönne, dört isch so ne Leerere gsi, di het zu dene Ching gluegd, me het chönne…

A. K.: …und die hat den Hort finanziert nach der Schule. Dann hat man… die, die haben wollen, haben nach der Schule so in einen Hort können, dort ist so eine Lehrerin gewesen, die hat zu diesen Kindern geschaut, man hat können…

F. K.: …häuffe Ufgaabe mache.

F. K.: …helfen Aufgaben machen.

A. K.: Uffgaabe mache, d Buebe hei chönne öppis baschtle, d Meitli hei chönne lisme. U di Frou Dokter von Root, het daas finanziert.

A. K.: Aufgaben machen, die Buben haben etwas basteln, die Mädchen stricken können. Und die Frau Doktor von Rot, hat das finanziert.

[…]

[…]

A. K.: U di… die isch seer vermögend gsii, woolhaabend u soo. U, aber äbe, di het de o e soo gredt, i… s Chirchefäld-Äll * (ä-hä), dee… aber für üüs isch das natürlech öpper fasch Unnaabaars gsii, denn, oder, het me ds Gfüeu gha, Jesses, de Hergott persönlech (lacht).

Und die … die ist sehr vermögend gewesen, wohlhabend und so. Und, aber eben, die hat dann auch so geredet. Im… das Kirchenfeld-l, dann… aber für uns ist das natürlich jemand fast Unnahbares gewesen, dazumal, oder, hat man das Gefühl gehabt: Jesses [= ach!, eigtl. Jesus] der Herrgott persönlich.

Dass diese sprachlichen Varietäten wahrgenommen werden, das unterscheidet die Sprachsituation also von derjenigen Zürichs. Für die Schweiz ist dieses bewusste Nebeneinander der soziolinguistischen Varietäten nur noch von Basel bekannt. In Basel werden die städtischen Besonderheiten jedoch an der Fasnacht folkloristisch verfestigt. Die aktive Teilnahme an der Fasnacht hat sich sogar als wesentlicher sprachsteuernder Faktor herauskristallisiert, wie im Basler Stadtsprachenprojekt gezeigt wurde (Hofer 1997, Hofer 2002). Das Dalbanesisch, die Sprache der Basler Oberschicht aus dem ehemals noblen St. Alban-Quartier, ist für die Schnitzelbänke die korrekte Varietät, für die man sich an die Rudolf Sutersche Grammatik (Suter 1993) und an sein Wörterbuch (Suter 1995) halten muss. Dagegen ist die alte Berner Stadtsprache keine Zielvarietät für Folklore. Vielmehr hat sich die resignative Haltung durchgesetzt, dass das Stadtberndeutsche über kürzer oder länger aussterben wird. (Beispiel vFischer1.mp3)

R.v.F.: I bi ganz überzügt, das i zwänzg Jaar, ds Statbäärndütsch * verlooren isch, bin i räschtloos überzügt, und das geit nid nume Gaffee stat Kafi (R. R.: m…m), das seit me ja uf em Land o no, oder äbe… * sondern das alles wird … vo h -ung wei mer gar nid rede …* das alles wird äuuele und und * ds Än Gee[8], bin i aso überzügt.

Ich bin ganz überzeugt, dass in zwanzig Jahren das Stadtberndeutsch verloren ist, bin ich restlos überzeugt, und das geht nicht nur Gaffee statt Kafi [= Kaffee], das sagt man ja auf dem Land auch noch oder eben, sondern dass alles wird … von -ung wollen wir gar nicht sprechen …dass alles wird äuelen [= das l vokalisieren] und das ng, bin ich also überzeugt.

[…]

[…]

Und das het mi furchbaar gergeret, das ds Gasino, wo ja bekanntermaassen en Inschtituzioon isch vo de Buurgergmeind, * das * ds groosse Slogaan isch gsee, chumm, mir göö i ds Gasino und das het mi immer… Und de han i gseit, aso wen d Burger nümme Bärndütsch chönne, aber luget, o im Chliine Burgerraat * es isch… s chunnt geng mee ds Äuuele, und i be überzüügt, das * scho glii e Naachfolger vo miir sogaar als Burgerraatspresidänt halt wird * ds nöie Bärndütsch rede… Aso das geit verloore.

Und das hat mich furchtbar geärgert, dass das Casino, das ja bekanntermaßen eine Institution ist (von) der Burgergemeinde, das das große Slogan ist gewesen: Chumm mir göö i ds Gasino [= Komm, wir gehen ins Casino]. Und das hat mich immer… Und dann habe ich gesagt, also wenn die Burger nicht mehr Berndeut-sch können! Aber seht, auch im Kleinen Burgerrat [= Exekutive der Burgergemeinde], es ist, es kommt immer mehr das Äuelen, und ich bin überzeugt, dass schon bald ein Nachfolger von mir sogar als Burgerratspräsident halt wird das neue Berndeutsch sprechen. Also das geht verloren.

Während also in Basel heute die Folklore eine der wesentlichen Trägerinnen der alten städtischen Varietät ist, sind es in Bern noch die alten patrizischen und burgerlichen Familien, wenn sie nicht auch schon zu einem unmarkierteren Berndeutsch gewechselt haben. Die alte städtische Sprache ist nämlich heute eine stark markierte Varietät, die mit einem egalitären politischen System schwierig zu verbinden ist. (Beispiel vFischer2.mp3)

R.v.F.: Vor allem… was mii e so z schaffe macht, hützutaags isch, das niemer me der Muet het, äbe si Spraach z rede. Und öb das bewusst isch oder unbewusst, öb das e bewussti Aapassung isch… Letschthin sägen i enere Mueter, wo seer es pflegts Bärndütsch redt, us bürgerliche Familie, sägen i: "aber los, dini Söön rede ja nes entsetzlich Bärndütsch", seit si: "ja, s hei mer drum gseit: 'Mammaa, mir si keni Hobi-Patrizier'". * aso das * isch früecher nid gsii, wil ds Statbärndütsch isch äbe durchuus es bürgerlichs Bärndütsch gsee.

R.v.F.: Vor allem … was mir so zu schaffen macht, heutzutage ist, dass niemand mehr den Mut hat, eben seine Sprache zu sprechen. Und ob das bewusst ist oder unbewusst, ob das eine bewusste Anpassung ist… Letzthin sage ich einer Mutter, die ein sehr gepflegtes Berndeutsch spricht, aus bürgerlicher Familie, sage ich: "aber hör [mal], deine Söhne sprechen ja ein entsetzliches Berndeutsch", sagt sie: "Ja, sie haben mir eben gesagt: 'Mamma, wir sind keine Hobby-Patrizier'". Also das ist früher nicht gewesen, denn das Stadtberndeutsch ist eben durchaus ein bürgerliches Berndeutsch gewesen.

Die Träger dieses Stadtberndeutschen, in der Sammlung sind das zwei Männer über 60, zeigen ein Selbstverständnis, das auf eine wichtige soziale Position hineutet. Nicht von ungefähr kommt es, dass sie beide das Wort 'unbescheiden' verwenden, das in den übrigen Interviews nicht vorkommt. Rudolf von Fischer braucht es in der Antwort auf die Frage, ob das Tavelsche Berndeutsch seine Sprache sei. (Beispiel vFischer3.mp3)

I gloube, ooni unbescheide z si, darf i säge, es isch mi Spraach.

Ich glaube, ohne unbescheiden zu sein, darf ich sagen, es ist meine Sprache.

Harald Wäber verwendet es um von den verschiedenen Positionen gegenüber dem Berndeutschen zu sprechen (Beispiel Wäber2.mp3):

Und wil s verschidene Posizioone git, mues i vilich gad am Aafang unbescheide vo minere rede…* .

Und weil es verschiedene Positionen gibt, muss ich vielleicht gerade am Anfang unbescheiden von meiner reden.

Diese unbescheidene Haltung ist vermutlich notwendig, um eine markierte sprachliche Varietät zu verwenden, die von Sprechern anderer Varietäten - wie von Antoinette Küenzi - schon fast mit der Sprache des Lieben Gottes verglichen wurde und die sogar von jüngeren Vertreter derselben Schicht als herablassend bewertet wird - Leute, die eben nicht als Hobby-Patrizier gelten wollen.

3.2 Mattenenglisch

Berndeutsch in der Stadt Bern besteht aber nicht nur aus dem Stadtberndeutsch, der alten Oberschichtssprache. Bekannt ist auch das Mattenenglische[9], eine Quartier- und Geheimsprache, die im ehemaligen Unterschichtsquartier der Matte gesprochen wurde. Die einen beträchtlichen (Rotwelsch, Jenisch, frz. Fremdwörter) enthaltende Quartiersprache wurde noch mit geheimsprachlichen Elementen wie Silbenvertauschung und Vokalersatz angereichert, damit die Obrigkeit einen nicht versteht, wie das im folgenden Beispiel dokumentiert wird. (Beispiel Fridelance1.mp3)

R. F.: Nächär cha me o säge: I der Iuschee imerhe ingerm… ingeremhee Iggeree imfe Irerlee imerhe Ittumeinglische idgre, need. Auso i de Schueu hei mer eigetlech hingerem Rügge vom Leerer immer Mattenänglisch gredt, u so hei mer äbe (R. R.: m-m) aso chli chönne abmache, was mer etz wei mache u was mer eigelech ned wette mache… U nächär…

Nachher kann man auch sagen: Imfe Irerlee imerhei Ittumeinglische idgre, nicht. Also, in der Schule haben wir eigentlich hinter dem Rücken des Lehrers stets Mattenenglisch gesprochen. Auch haben wir eben ein wenig abmachen können, was wir jetzt machen wollen und was wir eigentlich nicht machen möchten. Und nachher …      

R. R.: M-m. Der Leerer het s ned vestande?

R. R.: Der Lehrer hat es nicht verstanden?

R. F.: Dä hät s ned vestange. Jaö… s het glo… gloub kene vo dene Leerer het das verstange. U we m… we me de no schnäuu gredt het, oder, de isch es ja de waansinnig gsee, de he me je… We me schnäuu redt, de vesteit me überhoup nüt me, we me… we me würklech…ch äbe nid dermit ufgwachsen isch.

R. F.: Der hat es nicht verstanden. Ja, es hat gla… glaub keiner von diesen Lehrern hat das verstanden. Und wenn man dann noch schnell gesprochen hat, oder, dann ist es ja dann wahnsinnig gewesen, dann hat man nun… wenn man schnell spricht, dann versteht man überhaupt nichts mehr, wenn man …wenn man wirklich eben nicht damit aufgewachsen ist.

Heute ist das Mattenenglisch weitgehend verschwunden, die Matte ist kein Unterschichtsquartier mehr und die sprachliche Tradition wurde nicht in die heutigen Unterschichtsquartiere überliefert. Mattenenglisch wird nur noch folkloristisch im Matteänglisch-Club gepflegt, der jedoch nicht die Breite erreicht wie die Basler Fastnacht, wo die Sprache ja nur ein Teil einer umfassenderen Kultur ist. Heutige Unterschichtsquartiere sind - wie auch in der übrigen Schweiz - wesentlich durch Nicht-Muttersprachler geprägt. Das beeinflusst die aktuellen Unterschichtssprachen ganz beträchtlich, wobei hier anzuführen ist, dass empirische Untersuchungen zur Unterschichtssprache nicht nur in der Schweiz weitgehend fehlen. Die Mittelschichtslastigkeit soziolinguistischer Untersuchungen trifft so nicht nur einzelne Arbeiten, sondern den gesamten Forschungszweig.

3.3 'Chueche'-Sprache[10]

Neben der traditionellen und heute weitgehend geschwundenen Sondersprache Mattenenglisch sind andere als Sondersprachen zu bezeichnende Varietäten zu erwähnen, die sich aber nicht auf Bern einschränken lassen, sondern ähnliche Strukturen in anderen Schweizer und deutschen Städten zeigen. Vermutlich sind hier internationale Strukturen zu finden, wie das in der älteren Unterschichtssprache auch der Fall war[11].

Das folgende Beispiel aus dem Chueche[12] dokumentiert, dass Sprache in dieser mehr oder weniger alternativen, linken Polit-, Kultur- und Partyszene mit einem eher engen sozialen Netzwerk, einerseits bewusst verwendet wird, um sich abzugrenzen bzw. um sich intern zu versichern, dass aber andererseits auch einiges davon in den 'normalen' Sprachgebrauch aufgenommen wird. Sprache ist also für das Individuum nicht nur eine Varietät, die allen Situationen angemessen ist und die es zu 'pflegen' gilt, sondern die Sprache besteht aus einem Repertoire, aus dem je nach Situation gewisse Elemente hervorgehoben werden. (Beispiel Hug1.mp3)

Ch. W.: … hesch du mänggisch säuber ds Gfüeu, i rede wükech anders aus äbe dr Gmeindraat?

Ch. W.: …hast du manchmal selbst das Gefühl, ich rede wirklich anders als eben der Gemeinderat?

A. H.: (Schnalzt) Jã-a, des isch o sch…, aso es isch uf auu Fäuu so, das es, es git immer d… *, aso… es git e Zit oder es git die, i weis nid wi lang as das geit, wo med das ganz sicher so bruuch, zum sich abgränze. U wi wit, des ig… i bruche sicher o immer no Släng, oder igendwie Gasse… oder igendwie so (schnalzt) e Chuechespraach, uf jede Fauu. Viu Züg phautet sech äbe o, des laat me nä-är nümme la ga. […]

A. H.: Ja, das ist auch sch…, also es ist auf alle Fälle so, dass es, es gibt immer, also es gibt eine Zeit oder es gibt die, ich weiß nicht, wie lange das geht, in der man das sicher so braucht, um sich abzugrenzen. Und wie weit, dass ich… ich brauche sicher auch immer noch Slang, oder irgendwie Gassen… oder irgendwie so eine Kuchensprache, auf jeden Fall. Viel (Zeug) hält sich eben auch, das lässt man nachher nicht mehr gehen. […]

Aber * (schnalzt), i cha mer o vorsteuue, ds i mi * mee eienech dernaa mit Lüt würd, wo n i mit ne rede und merke, ou mir rede eienech e seer e angeri Spraach, das i mi däm mee würd aapasse aus… aus o scho, wo n em… wo me igendwie äxtra uf dene Sache mues umeriite und eienech nume so… sõ mus bäändütsch õder efech sõõ, sõ derhäär mus schnure, wis efecht hip isch, õde? Wo n i… wo n i warschindlich chli weniger… Je, i weiss nid eigentl… Chunnt druf aa, wäär das isch…

Aber, ich kann mir auch vorstellen, dass ich mich mehr eigentlich danach mit Leuten würde, mit denen ich rede und merke, auch wir sprechen eigentlich eine sehr andere Sprache, dass ich mich dem mehr anpassen würde als auch schon, als einem…, als man irgendwie extra auf diesen Sachen herumreiten muss [= darauf pochen], und dann und eigentlich nur so… so berndeutsch muss, oder einfach so, so daher schnorren muss, weil es einfach hip ist, oder? Wo ich, wo ich wahrscheinlich ein bisschen weniger… ja, ich weiß nicht, eigentlich… [Es] kommt drauf an, wer das ist…

Der Gegensatz zum 'gepflegten' Stadtberndeutsch liegt in diesem Beispiel vermutlich weniger in einzelnen spezifischen phonetischen und morphologischen Merkmalen, als vielmehr in einem Verzicht auf bewusste Auswahl, in einem Verzicht auf eine saubere Artikulationsbasis, in einem Verzicht auf syntaktisch korrekte Sätze und auch in einem Verzicht auf eine Übernahme der traditionellen Interviewtenrolle.

3.4 Überblick

Die traditionellen Unterschiede im System, wie aus diesen Beispielen deutlich wurde, sind immer noch vorhanden, die Unterschiede zwischen den sozialen Klassen sind aber nicht kategorisch, sondern stellen einen kontinuierlichen Übergang dar. Die folgende Tabelle 1 bringt einen Überblick über die Verwendung der verschiedenen Markiervariablen durch die einzelnen Sprecher. Die Prozentzahl gibt den Anteil der als unterschichtlich beurteilten Variablen an. Die Tabelle dokumentiert, dass die älteren Oberschichtssprecher eine relativ einheitliche Sprechweise an den Tag legen. Das Mittelfeld in der Tabelle braucht häufig beide Variablen nebeneinander, während die traditionellen Unterschichtssprecher wieder zu einer Einheitlichkeit tendieren.

Sprecher / Sprecherin

ll->uu (geminiertes l,  Chäller -> Chäuuer)

l -> u
(Vor Kons, Endung -el, im abs. Auslaut)

nd -> -ng
(Hund-> Hung)

Endung
-ug -> -ig
(Regierung ->Regierig)

kurze Verbform
(mer gange -> mer göi)

'und'
(und ->u)

Paul Schenk

0

0

0

0

Adele von Tavel

0

0

0

0

J. Harald Wäber

0

0

0

0

0

Rudolf von Fischer

0

0

0

25

0

4

René Pignolo

0

0

0

73

0

Roland Ris

0

12

0

100

100

13

Michael v. Graffenried

0

20

45

100

100

5

Ruedi Krebs

96

73

64

100

100

85

Christine Wirz

94

77

60

100

50

50

Andi Hug

85

91

72

100

100

61

Antoinette Küenzi

100

91

100

100

84

Fredi Küenzi

100

93

100

100

46

Roger Fridelance

91

96

88

100

100

95

Tabelle 1: Prozentualer Anteil von traditionellen Unterschichtsmerkmalen (nach Siebenhaar 2000a, S. 24)

 

4 Das sprachliche Berner Selbstverständnis

Berndeutsch und das sprachliche Selbstverständnis der Berner - jetzt nicht nur der Städter - unterscheidet sich auch in weiteren Punkten von dem Selbstverständnis in anderen Teilen der Schweiz. Für das laufende Nationalfondsprojekt zum Syntaxatlas der deutschen Schweiz (SADS) unter der Leitung von Elvira Glaser wurden für eine schriftliche Befragung rund zweieinhalbtausend Fragebogen versandt. Die Aufgabe für die Gewährsleute bestand unter anderem darin, die Richtigkeit von mundartlichen Sätzen zu beurteilen. Die in einem möglichst unausgeprägten Schweizerdeutschen (wenn es das gibt) verfassten Texte konnten überall verwendet werden. Einzig für das Wallis, das eine relativ große sprachliche Distanz zum übrigen Schweizerdeutschen aufweist, wurde ein eigener Fragebogen gestaltet. Bei der Auswertung des ersten Fragebogens hat sich aber im Kanton Bern erheblicher Widerstand gegen die sprachliche Form gezeigt. Die Gewährsleute fühlten sich teilweise beeinträchtigt die Wortstellung zu beurteilen, weil Frou statt mit ‹ou› mit ‹au› geschrieben wurde oder weil so 'unanständige' Wörter wie anehocke gebraucht wurden. Für den zweiten Fragebogen wurden dann eine normalschweizerdeutsche Version gemacht, eine Walliser Version und eine Berner Version. Die Berner Resultate scheinen auf diese Weise 'besser' zu sein. Das Erstaunliche daran ist jedoch, dass der Widerstand gegen das 'Normalschweizerdeutsche' - mit Zürcher Hintergrund - sich auf den Kanton Bern beschränkt hat. In den übrigen Kantonen mit westschweizer Mundarten, also Freiburg, Solothurn, Aargau, Luzern, wurde dem 'normalschweizerdeutschen' Fragebogen kein Widerstand entgegengebracht.

Der Berner Sonderweg zeigt sich auch in der sprachlichen Selbstbezeichnung. Während in weiten Teilen der Schweiz die eigene Mundart mit Schweizerdeutsch bezeichnet wird, so spricht man in Bern eben Berndeutsch.

Ein letzes Beispiel: Als Ende März 2000 das Berner Stadtsprachenbuch (Siebenhaar / Stäheli 2000) der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hatte der Verleger Markus Rubli auf die Vorgeschichte des Projekts hingewiesen, Roland Ris hatte das Buch wissenschaftlich situiert, ich selbst habe auf die Datenerfassung und Transkriptionsschwierigkeiten hingewiesen. Zum Schluss hatte Rudolf von Fischer das Wort, ehemaliger Burgerratspräsident, der sich politisch und persönlich stark für das Projekt eingesetzt hatte, er war einer der Initiatoren und eine der Gewährspersonen. Er hat die Publikation begrüßt und seiner Freude Ausdruck gegeben, dass nun das Stadtberndeutsche wenigstens in Bruchstücken für die Nachwelt festgehalten sei. Grundsätzlich hat er aber die Wissenschaftler kritisiert, die als Dialektologen an das Berndeutsche herangegangen seien. Es sei doch klar, dass Berndeutsch kein Dialekt sei, sondern eine Sprache, genügend verschieden zur deutschen Standardsprache, genügend verschieden zum übrigen Schweizerdeutschen, mit einer Schrifttradition - er erinnerte an von Tavel, an von Greyerz - und, wie oben gezeigt wurde, mit einem eigenen Selbstverständnis. Die Diskussion, ob Schweizerdeutsch eine Sprache oder ein Dialekt sei, zeigt sich also in Bern nochmals in einer spezifischen Variante.

 

5 Zusammenfassung und Ausblick

Berndeutsch ist also ein ganz besonderer Dialekt. Die Sprachsituation in der Stadt Bern unterscheidet sich durch die verschiedenen traditionellen Varietäten von der Situation der meisten anderen deutschsprachigen Schweizer Städte. Die sprachliche Differenzierung der sozialen Schichten zeigt sich noch heute in den Variablen, die schon vor 60 Jahren beschrieben worden sind. Vor allem die l-Vokalisierung, die -nd-Velarisierung, die verbalen Lang- bzw. Kurzformen, die unterschiedliche Verwendung der Endung -ung bzw. -ig unterscheiden die Sprecher immer noch nach ihrer sozialen Herkunft. Die Unterschiede zwischen den sozialen Schichten sind jedoch nicht mehr so stark, wie sie früher beschrieben wurden. Einzelne Oberschichtssprecher zeigen auch sogar die stark markierte l-Vokalisierung, Unterschichtssprecher kennen die alte 'Geheimsprache' nicht mehr. Das Mattenenglische wird noch von einem Verein gepflegt, gebraucht wird es nicht mehr. Die traditionelle Oberschichtssprache, das Stadtberndeutsche, verfügt heute nicht mehr über ein hohes Prestige, sondern wird teilweise schon ein wenig als skurril angesehen und sogar innerhalb der städtischen Oberschicht in Frage gestellt. Eine Tendenz zum Abbau ist auch hier deutlich. Die für die Schweiz spezifische Sprachsituation, die Bern noch auszeichnet, scheint also am Schwinden.

Neben den klassischen Soziolekten finden sich heute situative sprachliche Varianten. Das führt zu Sprachstilen, deren Elemente in anderen Situationen eher vermieden werden. Sprache wird so weniger durchgehend durch soziale Schichten geprägt, sondern durch die situationsspezifische Ausgestaltung durch die einzelnen Sprecher, die über ein Repertoire an Sprachstilen verfügen. Für die konkrete sprachliche Gestaltung einer Situation sind soziale Faktoren sicher nicht auszuschließen, jedoch stellen sie nur einen unter vielen Faktoren dar. Doch, welche Faktoren spielen welche Rolle? Welche sprachlichen und außersprachlichen Kriterien müssen berücksichtigt werden? Zeigen sich da auch Unterschiede zwischen den verschiedenen Städten? Alles offene Fragen...

 

Anmerkungen

1 Der Text ist eine schriftliche Fassung eines Vortrags, der an der SAGG-Jahrestagung am 24. November 2001 in Bern gehalten wurde. Er hält im Duktus und in der mehr anekdotischen als analytischen Herangehensweise an der Vortragsform fest. [zurück]

2 Ein erster Abriss der soziolinguistischen Verhältnisse in verschiedenen Berner Städten gibt Baumgartner (1940), ein Überblick zur Geschichte und aktuellen Situation in der Stadt Bern findet sich in Siebenhaar(2000a). [zurück]

3 Die Repertoiremetapher steht im Gegensatz zur Kodemetapher der Systemlinguistik und wird u.a von Denison (1992 sowie 1997) im Rahmen der Mehrsprachigkeitsforschung verwendet. Schlobinski u.a. (1993) verwenden den Terminus zur Charakterisierung von Jugendsprache in Berlin und Hofer (1997) sowie Hofer (2002) charakterisieren mit Repertoire ein breites Varietätenspektrum in Basel. [zurück]

4 Sprachbiographien von Immigranten der zweiten Generation in Bern sind in Werlen (1986) dargestellt. Stilistische Unterschiede in der fossilierten Lernervarietät eines nach Bern migrierten Romands sind in Siebenhaar (1997) aufgegezeigt. [zurück]

5 Zu dieser Verwendungsweise der Modalverben siehe Christen (1993). [zurück]

6 Siehe zum Vordringen der l-Vokalisierung vor allem in den westlichen Mundarten der Deutschchweiz Christen (2001). Die Ausbreitung nach Osten ist jedoch für für Stadt Aarau zurückzuweisen. Da findet sich sogar ein Zurückdrängen der noch im SDS belegten Vokalisierung, was mit der allgemein fortschreitenden Einbettung der Aarauer Mundart in einen größeren zürcherischen Zusammenhang zu sehen ist (Siebenhaar 2000b). [zurück]

7 Siehe zum Wortschatz der Unterschicht die kommentierte Wörtersammlung von Rollier (1902) oder die erste umfassende Arbeit von Greyerz (1929). Eine neuere Darstellung findet sich bei Ris (1989). [zurück]

8 Gemeint ist der mit zwei Buchstaben ausgedrückte Laut ng [N]. [zurück]

9 Charakterisierungen der alten Quartiermundart mit ihren rotwelschen Einflüssen und Erklärungen der geheimsprachlichen Silbenvertauschung finden sich bei von Greyerz (1929), Matteänglisch-Club (1969), Ris (1989). [zurück]

10 Eine Darstellung der Kommunikationskultur von verschiedenen sozialen Gruppen, darunter auch solcher aus dem Chueche findet sich bei Lieverscheidt u. a. (1995). [zurück]

11 Neben einem internationalen Wortschatz, der schon seit dem 14. Jh. für die Unterschichtssprachen belegt ist und wie er seit der Mitte des 20. Jh. via die Massenmedien schnell über die einzelnen nationalen und sozialen Grenzen verbreitet wird (Bulle für Polizist, Shit, Gras für Cannabisprodukte ...), spielen vermutlich phonetische Aspekte eine wesentliche Rolle bei der Ausgestaltung der meisten Unterschichtssprachen. So stellen Lenisierungsphänomene auf der segmentalen phonetischen Ebene wesentliche Elemente einer (bewusst) ungepflegten Sprache dar, ebenso wie suprasegmentale prosodische Aspekte (extreme Dehnungen und Intonationsmuster). [zurück]

12 Interessant hier die Metapher: Kuchen als Bezeichnung für relativ homogene, mehr oder weniger alternative, linke Polit-, Kultur- und Partyszene mit einem relativ engen sozialen Netzwerk. Diese Metapher ist nicht typisch bernisch. Eine Metapher aus dem selben semantischen Feld des Backens Taig betrifft auch eine relativ geschlossene soziale Gruppe, die der alten Basler Familien. [zurück]

 

Literaturangaben

Baumgartner, Heinrich (1940): Stadtmundart, Stadt- und Landmundart. Beiträge zur bernischen Mundartgeographie. Bern. (=Schriften der Literarischen Gesellschaft Bern [Neue Folge der Neujahrsblätter])

Christen, Helen (1993): "Neueste Gebrauchsweisen von Modalverben im Schweizerdeutschen." In: Schupp, Volker (Hrsg.): Alemannisch in der Regio. Beiträge zur 10. Jahrestagung alemannischer Dialektologen in Freiburg i. Br. 1990. Göppingen: 139-146. (=Göppinger Arbeiten zur Germanistik 593)

Christen, Helen (2001): "Ein Dialektmarker auf Erfolgskurs: Die /l/-Vokalisierung in der deutschsprachigen Schweiz". Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 68: 16-26.

Denison, Norman (1992): "Endstation Sprachtod? Etappen im Schicksal einer Sprachinsel". In: Weiss, A.(Hg.): Dialekte im Wandel. Göppingen: 139-156.

Denison, Norman (1997): "Language Change in Progress. Variation as it Happens". In: Coulmas, Florian (ed.) (1997): The Handbook of Sociolinguistics. Oxford: 65-80.

Greyerz, Otto von (1929): "Das Berner Mattenenglisch und seine Ausläufer: die Berner Bubensprache". Schweizerisches Archiv für Volkskunde 29: 217-251.

Hofer, Lorenz (1997): Sprachwandel im städtischen Dialektrepertoire. Eine variations-linguistische Untersuchung am Beispiel des Baseldeutschen. Tübingen / Basel. (=Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 72)

Hofer , Lorenz (2002): Zur Dynamik urbanen Sprechens: Studien zu Spracheinstellungen und Dialektvariation im Stadtraum. Mit Beiträgen von Annelies Häcki Buhofer und Heinrich Löffler; unter Mitarbeit von Beatrice Bürkli und Petra Leuenberger. Tübingen. (=Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 71)

Lieverscheidt, Esther / Werlen, Iwar / Wymann, Adrian / Zimmermann, Hansmartin (1995): "Konzeption und Ergebnisse des Projekts 'Kommunikationskulturen in einer Schweizer Stadt'". In: Werlen, Iwar (Hg.): Verbale Kommunikation in der Stadt. Tübingen: 197-226. (=Tübinger Beiträge zur Linguistik 407)

Matteänglisch-Club Bärn (1969): Matteänglisch. Geschichte der Matte, Dialekt und Geheimsprache. Bern.

Ris, Roland (1989): "Das Mattenenglische Ernst Marbachs". In: Marbach, Ernst: Mattegieu Gschichte. Mit einem Beitrag über das Berner Mattenenglisch und einem Wörterverzeichnis von Roland Ris. Langnau: 161-192.

Rollier, A. (1902): "Berner Mattenenglisch". Zeitschrift für deutsche Wortforschung 2: 51-57.

Schlobinski, Peter / Kohl, Gaby / Ludewigt, Irmgard (1993): Jugendsprache - Fiktion und Wirklichkeit. Opladen.

Siebenhaar, Beat (1997): "Stilistische Varianz in der Sprache eines in der Deutschschweiz lebenden Romands". In: Ruoff, Arno / Löffelad, Peter (Hg.): Syntax und Stilistik der Alltagssprache. Beiträge der 12. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie. Tübingen: 123-134. (=Idiomatica 18) pdf-File

Siebenhaar, Beat (2000a): "Stadtberndeutsch - Sprachschichten einst und jetzt". In: Siebenhaar, Beat / Stäheli, Fredy: Stadtberndeutsch. Sprachporträts aus der Stadt Bern. Murten: 7-31. (=Schweizer Dialekte in Text und Ton 5.1) pdf-File

Siebenhaar, Beat (2000b): Sprachvariation, Sprachwandel und Einstellung. Der Dialekt der Stadt Aarau in der Labilitätszone zwischen Zürcher und Berner Mundartraum. Stuttgart. (=ZDL Beihefte 108)

Siebenhaar, Beat / Stäheli, Fredy (2000): Stadtberndeutsch. Sprachporträts aus der Stadt Bern. Murten. (=Schweizer Dialekte in Text und Ton 5.1)
online-Version: http://www.sagg-zeitschrift.unibe.ch/siebenhaar/SiebenhaarFolder/subfolder/Stadtberndeutsch/Stadtberndeutsch.html

Suter, Rudolf (1993): Baseldeutsch-Grammatik. 3., überarbeitete Auflage. Basel. (=Grammatiken und Wörterbücher des Schweizerdeutschen in allgemeinverständlicher Darstellung 6)

Suter, Rudolf (1995): Baseldeutsch-Wörterbuch. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Basel. (=Grammatiken und Wörterbücher des Schweizerdeutschen in allgemeinverständlicher Darstellung 9)

Werlen, Iwar (1986): Sprachbiographien von Ausländern der zweiten Generation. Arbeitsbericht zu einem soziolinguistischen Projekt unter Mitarbeit von Michèle Bähler, Francesca Roncoroni-Waser, Zvi Penner, Renato Piva, Lothar Seethaler. Bern. (Universität Bern, Institut für Sprachwissenschaft. Arbeitspapier 20 a und 20 b)


 Germanistik in der Schweiz. Online-Zeitschrift der SAGG  1/2002